Warum mich Dinge nicht (mehr) glücklich machen

Warum mich Dinge nicht (mehr) glücklich machen

Ich erinnere mich noch gut an eine Zeit, in der ich glaubte, dass mich Dinge glücklich machen würden. Diese Zeit ist schon viele Jahre her. Wie gewöhnlich ist es jedoch aus der Rückschau sehr schwer, noch realistisch einzuschätzen, ob mich die Dinge damals wirklich glücklich machten oder ob es diesen Effekt nur in meiner Vorstellung gab. Es war die Zeit direkt nach meinem Studium: Der erste Job im Marketing, gut bezahlt, tolles Büro – aber eine innere Leere, die mich Tag für Tag mehr quälte. Um diesen Schmerz nicht mehr spüren zu müssen, entwickelte ich eine hilfreiche Strategie, die mir damals nicht bewusst war: Ich kaufte Dinge – und hoffte darauf, dass dadurch meine innere Leere verschwinden würde. 

Wenn ich das heute so formuliere, dann hört sich das ein bisschen so an, als hätte ich mit Mitte 20 noch an den Weihnachtsmann geglaubt oder die Zahnfee. Ich glaubte offenbar tatsächlich, dass sich mein Leben verbessern würde, wenn ich doch nur genug – und die richtigen – Dinge besitzen würde. Doch mit jedem Gegenstand, der in meine Wohnung kam, stieg auch die Enttäuschung: Meine Strategie ging nicht auf. Vielmehr musste ich mich jetzt noch um all die Dinge kümmern. Jeder Umzug wurde dadurch anstrengender – oder hinausgezögert. An meiner Unzufriedenheit mit meinem Leben änderten die Dinge rein gar nichts – auch wenn sie manchmal ziemlich kostspielig oder aufwändig im Unterhalt waren. 

Jeder Black Friday, X-Mas-Sale oder irgendein anderer Anlass, der er- oder gefunden wurde, um den Konsum anzutreiben, erinnert mich an diese Zeit. Findige Onlinehändler haben aus diesem einen Tag inzwischen ganze Angebotswochen gemacht, in denen im Viertelstundentakt neue Artikel zu einem vermeintlichen Angebotspreis offeriert werden. 

Wieviel Zeit habe ich in während dieser Angebotswochen damit verbracht, um den aktuellen Schnäppchen hinterherzujagen. Um den Thrill des Kaufens noch mehr zu fördern, werden viele Angebote nur für eine kurze Zeit in den Online-Shops dieser Welt angeboten. So scheint es jedenfalls, wenn die Produkte im Viertelstundentakt für „einen besonders günstigen Preis“ angeboten werden. Doch der Preis, den wir für all diese Dinge zahlen, ist viel größer als die Zahl, die auf dem Preisschild steht. Es stellt sich wieder einmal die Frage „Geld oder Leben?“ – doch während des impulsiven Kaufens stellen wir uns diese wichtige Frage nicht. Dafür geht alles viel zu schnell und läuft dazu noch unbewusst ab. Der Viertelstundentakt der Angebote ist dabei besonders geeignet, um das Tempo zu erhöhen. Geschwindigkeit betäubt. Langsamkeit bringt ins Spüren. Alle Dinge, die es wert sind zu machen, sollten wir auch langsam tun. Alle Dinge, die es wert sind zu kaufen, sollten das auch nach reiflicher Überlegung sein – und nicht nur, weil wir unseren Impulsen erliegen. Für diesen Fall lese ich immer wieder die Empfehlung in den einschlägigen Blogs von Minimalisten, dass man die 24-Stunden-Regel einhalten soll. Das bedeutet konkret, dass ich dem Impuls etwas zu kaufen nicht sofort folge, sondern schlicht 24 Stunden warte, bis ich den Kauf abschließe. Ich habe es selbst ausprobiert und kann diese Strategie nur empfehlen: Die meisten Dinge, die ich nur in meinen Warenkorb gelegt, aber den Kauf nicht abgeschlossen habe, waren nach 24 Stunden nicht mehr so wertvoll für mich. Oft hatte ich es bereits vergessen, wie sehr ich die Dinge einen Tag zuvor unbedingt besitzen wollte. Und manchmal stellte sich so auch eine innere Klarheit ein, die dazu führte, dass ich mit reinem Herzen den Kauf abschloss. So holte ich Dinge in mein Leben, an denen ich noch lange Freude habe. 

Damals in den Angebotswochen war das anders. In diesen Wochen waren die Angebote manchmal das Erste, was ich am Morgen gesehen habe: ein Griff auf den Nachttisch – Handy einschalten – Angebote checken. Das schnelle Glück schien nur einen Klick entfernt. Oft war dieses Ritual auch die letzte Ablenkung des Tages. Es war eine bittere Routine, die mir keine Lebensqualität bringen konnte – egal wieviele Dinge ich kaufte. Das Glück des Kaufes war immer nur von kurzer Dauer: Wenn ich ein Produkt fand – und es in den Warenkorb legte. Ein Gefühl etwas erreicht zu haben. Manchmal gepaart mit der kleinen Freude doch noch rechtzeitig im Angebotszeitraum bestellt zu haben. An manchen Tagen erinnerte mich der Wecker meines Handys an die aktuellsten Angebote, die zu verpassen ich mir nicht erlauben konnte. Oft waren es mehrere Wecker, die ich mir akribisch am Morgen einstellte – und dann frustriert war, wenn ich das Angebot um einige Minuten verpasste. “Keine verfügbaren Angebote. Alle Artikel sind bereits reserviert.” Doch die Produkte lösten ihr Versprechen nach mehr Lebensfreude und Zufriedenheit nie ein. Sie waren nicht mehr als eine Fata Morgana. Eine Verheißung, ein Versprechen, das sich bei näherer Betrachtung nie einlöste und mich dafür immer unsanfter auf den Boden der Realität zurückbrachte. 

Rückblickend betrachtet, hört sich das alles ziemlich absurd an, aber so ist es passiert. Ich lernte auf diesem Weg, dass es niemals die Dinge sind, die mich glücklich machen. Ich muss mein Glück selbst in die Hand nehmen, indem ich mein Leben so gestalte, wie es zu mir passt. Und zum Leben gehören natürlich nicht nur Dinge, sondern diese Haltung schließt alle Lebensbereiche mit ein. Bis ich diese Lektion wirklich verinnerlichte, drehte ich einige Schleifen und stand immer wieder kopfschüttelnd vor Situationen, die sich – rückblickend betrachtet – zwar deutlich ankündigten, ich sie jedoch nicht kommen sah. 

Heute sieht mein Leben ganz anders aus. Nicht die Dinge bestimmen mein Leben, sondern ich. Es sind nicht die Impulse, die mein Leben steuern, sondern ich selbst bin es, die mein Leben steuert. Heute bin ich zufrieden mit dem, was das Leben für mich bereithält. Ich bin damit einverstanden.

Heute gehe ich gern wandern und genieße das Gefühl, alle Dinge, die ich wirklich benötige, auf meinem Rücken zu tragen. Bei Wanderungen, die über mehrere Tage durch atemberaubende Landschaften führen, merkt man schnell, was im Leben wirklich wichtig ist. Überflüssige Dinge werden schnell identifiziert, denn jeder Ballast wiegt schwer. Wenn man einmal diese Erfahrung beim Gehen gemacht hat, lässt sich dies leicht auf den Alltag übertragen: Was brauche ich wirklich? Was ich wirklich brauche ist überraschend wenig. Vor allem sind es sehr wenige Gegenstände. Für mich braucht es ein warmes Zuhause, eine liebevolle Umgebung, Anregung im Außen und im Innen und Zeit, die ich mit Themen und Projekten verbringen kann, die mir etwas bedeuten. Das macht mich glücklich.

Denn es sind nie die Dinge, die wirklich glücklich machen. Wirklich nie. Kein einziger Gegenstand wird mich jemals glücklich machen, sondern nur das, was ich mit ihm mache. Oft genug sind die Dinge, die wir kaufen, nur der Versuch einer Befriedigung eines anderen Bedürfnisses. Damit werden sie zu einer minderwertigen Ersatzhandlung.
Ich möchte dir ein Beispiel erzählen: Kürzlich habe ich mich dabei beobachtet, wie mich dicke Winter-Wandersocken im Laden magisch angezogen haben. “Diese Socken sind so wunderschön – und kuschelig! Sie würden sich so gut beim Wandern machen…”, so ging es in meinem Kopf los. Nun ist es nicht so, dass ich keine Wandersocken besitze. Wahrscheinlich besitze ich sogar ziemlich viele Wandersocken – auch sehr weiche und kuschelige. Warum sollte ich also dieses Paar kaufen? Was ist es, was mir diese Socken so attraktiv erscheinen lässt? Nun, es ist schlicht der Wunsch wieder öfter weit wandern zu gehen. Im Moment ziehe ich gerade um und da ist die Zeit, die ich in der Natur verbringe, knapp geworden. Statt mich in der Natur zu bewegen, packe ich gerade Dinge in Kartons, baue Möbel auseinander oder konstruiere Einbaumöbel. Mein Wunsch, diese Socken zu kaufen, ist also eigentlich der Wunsch wieder in der Natur zu sein und zu gehen. 

Und – nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Kaufen. Auch ich kaufe auch heute noch Dinge. Jedoch prüfe ich vorher genau, ob das Kaufen der passende Weg ist, um das zu erreichen, was ich wirklich möchte – und ob sie in mein aktuelles Leben passen.

Kein Ding der Welt kann dich glücklich machen. Wenn wir etwas kaufen wollen, dann sollten wir uns fragen, was uns in unserem Leben fehlt und wie wir das, was uns fehlt, in unser Leben bekommen können. Der Kauf eines Gegenstandes ist nur ein kläglicher Versuch, diesen Mangel auszugleichen. Niemand wird häufiger wandern gehen, nur weil er noch ein Paar weiche Wandersocken besitzt. Der Besitz der Socken ändert rein gar nichts an den Prioritäten oder der Situation in meinem Leben.
Der gleiche Mechanismus läuft auch bei Sportgeräten jeglicher Art ab. Die Angebote für Fitnessoutfits, Yogamatten, Hantelsets und Faszienrollen kommen mit schöner Regelmäßigkeit in jedem Januar wieder. Dann ist die Zeit der guten Vorsätze da und viele Menschen haben über den Jahreswechsel den Entschluss gefasst, sich im neuen Jahr mehr zu bewegen. Doch allein der Besitz eines Mini-Trampolins bringt dich noch lange nicht in die Bewegung. Und der Heimtrainer ist auch bald nur ein zweitklassiges Wäschegestell.

Gerade um den Black Friday oder sonstigen Angebotswochen klingelt es bei mir sehr oft an der Tür. Den Paketboten sehe ich so sehr regelmäßig und nehme ihm gern auch die großen Pakete für die Nachbarn im Haus ab. In der Zeit vor den Feiertagen am Jahresende steigt die Zahl der Pakete rapide. Ich freue mich dann immer, wenn ich dem Paketboten das Leben etwas leichter machen kann und ihm die sperrigen oder schweren Kisten abnehmen kann. Manchmal hat mich so ein Paket selbst auf eine Idee gebracht und mein Leben reicher gemacht. So war es zum Beispiel mit der Kiste sonnengereifter, spanischer Organgen, die eine Nachbarin vor einiger Zeit geliefert bekommen hat. Auch das Päckchen mit den Nürnberger Lebkuchen eines Nachbarn hat mich auf eine Idee gebracht: Vor ein paar Tagen habe ich das erste Mal in meinem Leben Elisenlebkuchen gebacken.

Was ich dabei erfahren habe ist, dass es immer unsere Handlungen sind, die uns glücklich machen. Dinge können uns niemals glücklich machen. Versteh mich bitte nicht falsch, es ist nichts schlimm daran, Dinge zu kaufen, wenn sie dein Leben wirklich reicher machen. So ist es zum Beispiel mit der Emaille-Auflaufform, die ich kürzlich gekauft habe. Die neue Form hat meine alte ersetzt. Die alte war schon etwas rostig und nicht so hitzebeständig, dass ich sie überall einsetzen konnte. Die neue Form verträgt Hitze bis 400 Grad, ist spülmaschinenfest und macht mir dadurch mein Leben leichter.

Heute denke ich bei jedem Gegenstand, den ich kaufe, an die Frage: Geld oder Leben? 

Wenn wir in einem Geschäft etwas kaufen, zahlen wir oft mit einer Karte und nicht mehr mit Bargeld. In manchen Bars und Cafés wird Bargeld als Zahlungsmittel gar nicht mehr akzeptiert. Dabei ist der haptische Kontakt zu Banknoten und Münzen ein gutes Mittel, um den Wert einer Ware zu erfassen und den Kauf bewusst zu erleben. Wenn wir digital zahlen und eine Karte nutzen, geht der Kauf sehr schnell und der Akt des Kaufens läuft oft unbewusst ab. Die EC-Karte an das Gerät halten – fertig. Noch nicht einmal die Eingabe einer Pin braucht es heute bei geringwertigen Einkäufen. Der Akt des Kaufens soll noch schneller und unbewusster ablaufen. Auf diese Art und Weise wird es schwierig zu bemerken, wieviel Geld man ausgegeben hat, weil nur irgendwelche Beträge von irgendwelchen Kontonummern abgebucht werden. Wenigstens die Ware ist noch analog, wenn ich in einem Ladengeschäft etwas kaufe. Manchmal kann ich so am Gewicht der Tüten den Wert abschätzen. Oft genug ist das Gewicht jedoch kein gutes Kriterium, für den Wert einer Ware.

Durch dieses unbewusste Kaufen, fehlt uns oft das Gefühl für den wirklichen Preis der Ware. Der echte Preis eines Produktes ist nur in Bezug zu unserem Leben zu ermitteln. Wieviele Stunden musstest du arbeiten, um diesen Gegenstand kaufen zu können? Ist dir der Gegenstand das Geld wert? Und ist dir der Gegenstand auch die Lebenszeit wert, die du dafür eingesetzt hast, um den Preis zahlen zu können? 

Unser Leben ist kostbar. Das sagen wir oft so dahin. Aber es ist ganz genau so: Das Leben ist unbezahlbar. Zeit ist die wertvollste Ressource, die wir haben. Das Leben selbst hat sie uns geschenkt. Doch womit verbringen wir unsere Zeit? Hast du wirklich eine Stunde deiner Lebenszeit dafür hergegeben, um diese Socken zu besitzen? Wieviele Lebensmittel hast du in dieser Woche weggeworfen? Ein paar Scheiben Käse, ein vertrockneter Salat, eine matschige Banane, die du in deinem Rucksack vergessen hast. Rechne einmal aus, wieviel Lebenszeit du damit in den Müll geworfen hast. Abgesehen von der Verschwendung von Ressourcen, ist deine Lebenszeit gleich mit in den Müll gewandert. Viele Lebensmittel lassen sich kompostieren. So können die Ressourcen immer wieder genutzt werden, nachdem die Bodenlebewesen ihre Arbeit verrichtet haben. Lebenszeit lässt sich nicht kompostieren. Diese Zeit ist unwiederbringlich vorbei.

So ist es übrigens auch bei Verspätungen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich finde, man sollte das Fahrgastrechteformular sehr ernst nehmen. Verzögerungen im Betriebsablauf lassen Verspätungen entstehen, die unweigerlich die eigene Lebenszeit kosten. Dieser Verlust ist mit Geld nicht aufzuwerten. 

Zum Glück sind die Angebotswochen rund um den Black Friday noch nicht so lange her. Außerdem haben einige Onlinehändler zu den Feiertagen den Zeitraum für die Rückgabe von Produkten bis in den Januar hinein verlängert. Vielleicht ist das ja eine gute Gelegenheit dir noch einmal ganz genau all die vermeintlichen Schnäppchen anzuschauen, die du gegen deine Lebenszeit eingetauscht hast. Sind dir diese Dinge wirklich deine Lebenszeit wert? Wenn das so ist: Glückwunsch! Hoffentlich hast du viel Freude mit diesen Dingen. Wenn sich jedoch bei genauerer Betrachtung leise Zweifel in dir hegen, ob diese Dinge wirklich so nützlich sind, wie sie dir beim Kauf erschienen, dann erwäge doch die Produkte zurückzugeben. Die Lebenszeit, die du mit dem Kauf, Abholung und Rücksendung verbracht hast, ist zwar verloren, aber so bekommst du wenigstens einen Teil des Preises zurück. 

Für alle späteren Käufe kannst du dann nach und nach bewusster entscheiden, was dir wertvoller ist: Geld oder Leben? 

Berlin, 24.12.2019