Selbstexperiment: Wie ich mich auf stressige Phasen vorbereite.

Selbstexperiment: Wie ich mich auf stressige Phasen vorbereite.

Was machst du eigentlich, wenn du schon weißt, dass dir eine schwierige Phase bevorsteht? Eine schwierige Phase kann eine besonders intensive Phase in der Arbeit sein, die absehbar ist und vielleicht sogar regelmäßig erscheint. Eine schwierige Phase kann es aber auch in deinem Privatleben geben, wenn du weißt, dass eine anstrengende Zeit auf dich wartet. Vielleicht weißt du, dass die Geburt des Nachwuchses kurz bevorsteht oder ein Umzug. Kann man sich dann auf solche Belastungssituationen überhaupt vorbereiten? Ist es vielleicht sogar möglich, dass wir Entspannungsphasen und Momente der Erholung ansammeln und speichern für Phasen, in denen es sehr anstrengend ist? 

Und weil es manchmal gar nicht so leicht ist, ein neues Verhalten auszuprobieren, habe ich es für dich gemacht und lasse dich an meinen Erfahrungen teilhaben. Ich habe kürzlich dieses Selbstexperiment gemacht, damit du es nicht machen musst. Natürlich kannst du es selbst ausprobieren, denn eine eigene Erfahrung zu machen, ist meist viel lehrreicher, als wenn man nur etwas davon hört oder darüber nachdenkt.
Kommen wir also zum Versuchsaufbau. Weil manche stressige Phasen in unserem Leben ja vorhersehbar sind, können wir uns vorbereiten. So war es auch bei mir. Ich wusste, dass mich in Kürze eine anstrengende Zeit erwarten würde. Was habe ich getan? Ich habe mich gut um mich gekümmert. Ich habe angefangen, besonders viel von dem zu machen, was mir gut tut und mir Kraft gibt. Ich wollte so gut wie möglich für diese anstrengende Phase in meinem Leben vorbereitet sein. Ich wusste nämlich auch schon vorher, dass es in der Phase selbst wenig Zeit geben würde für die Dinge, die mir Freude bereiten.
Was mir genau Freude bereitet? Bei mir sind es vor allem die Aktivitäten, die ich ohne zeitliche Begrenzung durchführen kann. Ich mag dieses Gefühl, wenn es keinen Termin gibt, sondern ich mich so lange mit einer Sache beschäftigen kann, wie ich möchte. Genauso habe ich diese Phase vor der Belastungsituation genutzt: Ich habe mich mit meinen Pflanzen beschäftigt. Ich habe einen Fenstergarten und zusätzlich eine hydroponische Anlage gebaut. Ich habe meine ersten Möbel konstruiert. Ich habe Dinge gemacht, die für mich einen Ausgleich darstellen. Ich war viel wandern und habe meinen Körper bewegt. Ich habe sehr viel gekocht und mich mit guten Nährstoffen versorgt. Meine Energiespeicher waren voll, als die anstrengende Phase dann vor mir stand. Rückblickend betrachtet waren das die allerbesten Voraussetzungen für diese anstrengende Phase. Ich hätte nichts besser machen können. Ich habe mich in der Vorbereitung dieser Phase nur mit positiven Dingen beschäftigt, die mir Kraft geben. 

Wie gewöhnlich meldete sich auch in dieser Vorbereitungs- und Regenerationsphase mein Kopf mit beharrlicher Regelmäßigkeit, um mich daran zu erinnern, was mir demnächst bevorstehen würde. Manchmal versuchten mir meine Gedanken einzuflüstern, dass die ganze Erholung ja doch nichts bringen würde. Manchmal machten sie sich lustig über meine kläglichen Versuche im Moment zu sein. Manchmal forderten sie mich auf, umgehend die Erholung einzustellen und lieber mit dem Abarbeiten der anstehenden Aufgaben zu beginnen. 
Manchmal bin ich den Gedanken auf den Leim gegangen und habe mich eine Weile von ihnen mitziehen lassen. Manchmal habe ich geglaubt, dass meine Gedanken und ich eins wären. Manchmal habe ich sie als etwas Eigenständiges erkannt und einfach an der Ecke stehengelassen. Manchmal bin ich ein Stück mit ihnen gegangen, um sie dann mit dem wohlwollendsten Blick, der mir in der Situation möglich war, zu entlassen. Gedanken entstehen nur im Kopf. Ich bin nicht meine Gedanken. 
Die moderne Hirnforschung geht davon aus, dass wir am Tag etwa 60.000 Gedanken haben. Die meisten davon bemerken wir zum Glück nichtmal bewusst, denn sonst würden wir alle auf der Stelle verrückt werden. Wenn man diesen Kontext berücksichtigt, dann ist dieser einzelne, meist negative Gedanke, dem wir manchmal folgen, einfach nur eine Randerscheinung. Ein Exemplar in einem Strom von 60.000 täglichen Gedanken. Warum sollten wir diesem einen Gedanken also so eine besondere Bedeutung geben? Achtsamkeit kann ein Weg sein, um das Entstehen und Entwickeln von Gedanken zu bemerken. Mich unterstützt meine eigene Achtsamkeitspraxis in diesen Situationen sehr. Auch im Resilienztraining kommt dem Umgang mit den Gedanken und der Entwicklung von Ressourcen eine besondere Bedeutung zu.

Doch bevor wir uns weiter in den Gedanken über die Gedanken verlieren: Vielleicht fragst du dich, wie mein Selbstexperiment ausgegangen ist?
Nun, ich habe diese anstrengende Phase in meinem Leben gut überstanden. Interessanterweise waren es nämlich auch wieder meine Gedanken in Form von Befürchtungen, die mir vor der eigentlichen Situation weismachen wollten, dass ich in der Stressphase keine Zeit zur Regeneration haben würde. Das Gegenteil war jedoch der Fall. 
Ich habe schon in der Vorbereitungszeit angefangen, ein Notizbuch als Selfcare-Tracker zu führen. Die Punkte, die ich dort jeden Tag eintragen konnte, haben mich überrascht. Jeden Tag habe ich Dinge für mich gemacht, um meine Energiespeicher auch in der stressigen Zeit zu füllen. Ich habe dabei festgestellt, dass es zwar sehr gut war, dass ich mit prall gefüllten Energiereserven gestartet bin – ohne ein regelmäßiges Auffüllen meines Speichers hätte ich diese Phase jedoch nicht so gut überstanden. Es hat ein paar Fehlversuche gebraucht, in denen ich mit dem Motto „Augen zu und durch“ versucht habe, die Sache einfach nur schnell zu beenden. Die Erschöpfung, die sich nach solchen Versuchen eingestellt hat, möchte ich dir in deinen Selbstversuchen am liebsten ersparen, aber du wirst deine eigenen Erfahrungen machen. Durch dieses „Scheitern“ ist mir jedoch erst die Bedeutung des regelmäßigen Auftankens bewusst geworden. Bei mir sind es vor allem diese kleinen, guten Gewohnheiten, die ich jeden Tag in meinem Selfcare-Tracker festhalte und die mich in schwierigen Phasen unterstützen. Dieses Learning nehme ich – ganz im Sinne der produktiven Verarbeitung einer Krise – mit in die nächsten schwierigen Lebensphasen. Sie werden ganz sicher bald kommen. 

Berlin, 14. Februar 2019