4 überraschende Erkenntnisse nach 4 Monaten Onlinekursen

4 überraschende Erkenntnisse nach 4 Monaten Onlinekursen

Das Coronavirus hat die Welt verändert. Was vor einigen Monaten nicht vorstellbar schien, ist nun gemeinsame Realität geworden.
Statt am Abend in wunderschönen und perfekt ausgestatteten Kursräumen Entspannungs- oder Achtsamkeitstrainings zu leiten, sitze ich in einer ruhigen Ecke in meinem Zuhause vor einem Bildschirm. Statt Menschen persönlich im Kurs zu begegnen, begegnen wir einander in einem virtuellen Raum. Und doch passiert etwas, das weit über das hinaus geht, was ich mir in der Zeit „vor Corona“ vorstellen konnte: Auch wenn wir uns digital begegnen, entsteht sehr schnell ein Gefühl von Nähe und Gemeinschaft. Es ist ein Gefühl, das wir brauchen. Ganz besonders in diesen Zeiten – weil wir Menschen sind.
In der Zeit „vor Corona“ hielt sich meine Begeisterung für Onlinetrainings in Grenzen. Mir erschien die Distanz zu groß, die der Bildschirm zu meinem Gegenüber herstellt. Außerdem hatte ich vor allem die Erfahrung gemacht, dass ein digitales Training die Möglichkeit für den Austausch nimmt – auch den Austausch der Kursteilnehmer*innen untereinander. Und nicht zuletzt: Ich hatte bereits viele Onlinetrainings selbst erlebt, die eher der Unterhaltung dienten, während ich in einem zweiten Fenster an einer Sache arbeitete, die mir zu diesem Zeitpunkt viel wichtiger erschien. Confession: Auch ich kenne das Phänomen second screen als Erfahrung aus erster Hand.
Vermutlich hast du in den letzten Momenten ein paar Mal genickt und dich selbst erkannt. Oder in dir hat sich Widerstand geregt, weil meine Erfahrung ganz anders ist als das, was du mit Onlinetrainings verbindest. Wie auch immer es war: Diese konkrete Erfahrung zeigt deutlich, welchen Einfluss Erfahrungen auf aktuelle Vorlieben, Abneigungen oder Entscheidungen haben – auch wenn sie manchmal schon sehr weit zurückliegen.

Die letzten vier Monate haben mir ermöglicht, meinen Vorurteilen zu begegnen und herauszufinden, wie es im Jahr 2020 sein kann, „Onlinekurse“ zu gestalten. Dabei habe ich vier überraschende Erkenntnisse gewonnen:

  1. Onlinekurse finden gar nicht online statt
    Wenn wir Kurse, die per Live-Videokonferenz stattfinden, als „Onlinekurse“ bezeichnen, um sie von Präsenzkursen abzugrenzen, dann schränken wir unsere Erwartungen gleich mit ein: Statt eines vollen Erlebnisses (wie bei einem Präsenztraining) erwarten wir eine minderwertige Alternative, eine Notlösung, ein flaches Erlebnis, das der vermeintlich wirklichen Erfahrung eines Präsenztrainings niemals entsprechen könnte. Wie schade! Denn damit geben wir Kursen, die per Live-Videokonferenz stattfinden nicht die gleichen Chancen, unser Leben zu verändern, wie wir es bei Präsenzkursen automatisch machen.
    Wenn Kurse nun online stattfinden, beschreibt das für mich heutzutage schlicht das Medium, eine Technik, dank der wir uns begegnen. Denn wenn man es ganz genau nimmt, finden die Kurse gar nicht online statt, sondern mitten in deinem Leben. Und damit genau an dem Ort, wo du dir eine Veränderung wünscht. Was nützt der perfekt ausgestattete Kursraum in der ruhigen Umgebung, wenn die Veränderungen dich nicht in deinen Alltag begleiten? Dann wird ein Kurs wieder nur zu einem Erlebnis, an dem du zwar teilgenommen hast, das aber den Weg in deinen Alltag nicht gefunden hat.

  2. Es geht nicht um das Wo und Wie, sondern um das Was und das Warum
    Welche Motivation führt dich in Kurse, Training oder Fortbildungen? Vermutlich ist es der Wunsch, etwas zu verändern. Der Wunsch, dein Leben neu zu gestalten – verbunden mit der Überzeugung, dass es einen anderen Weg gibt – und es auch für dich geben kann. Veränderung ist möglich – bis zum letzten Atemzug. Und mit diesem Wunsch im Gepäck machen wir uns auf den Weg, suchen nach Inspiration, Impulsen und Möglichkeiten, wie Veränderung in unserem eigenen Leben gelingen kann. Diese Impulse habe ich in meinem Leben nicht nur in Präsenztrainings gefunden, sondern in Büchern, persönlichen Begegnungen, beim Gehen in der Natur, in der Musik, im Internet, in Podcasts, Blog-Artikeln und unzähligen Momenten, die so nebensächlich sind, das es kein Wort für sie gibt …

  3. Mit der Begrenzung entstehen kreative Lösungen
    Ganz ehrlich: Ich liebe es, wenn ich in einem gut ausgestatteten Kursraum arbeiten kann. Alle Materialien sind vor Ort und griffbereit, wenn ich sie brauche. Damit ist es für mich auch gut möglich, Teilnehmer*innen mit besonderen Bedürfnissen zu unterstützen und individuelle Lösungen zu finden – also eigentlich jede*n. Denn jeder Mensch, der mir im Training begegnet, hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Bedürfnisse. Schon allein in der Sitzposition für die Sitzmeditation zeigt sich das. Ist es nicht wunderbar, für eine solche Situation alle möglichen Materialien vor Ort zu haben, um experimentieren zu können? Ja, das ist es. Dennoch spiegelt sich darin nur mein Wunsch und nicht die Realität. Ich werde nie alle Materialien haben können, um unbegrenzten Bedürfnissen zu entsprechen.
    In der Realität leben wir mit begrenzten Ressourcen: Wir haben nur ein Meditationskissen (und nicht fünf, die wir ja eigentlich bräuchten, um diese ganz bestimmte Position hinzubekommen), wir haben einen Hocker und zwei Decken… Doch das ist unsere Realität, unser Leben.
    Statt aus dem Kursraum nach Hause zu gehen und die Übungen zu vergessen, weil wir sie ja nicht machen können, weil uns ja dafür schließlich die Ausrüstung fehlt, beginnen wir dort, wo wir stehen – mit dem, was wir ohnehin schon besitzen.
    Ein Bücherstapel mit einer Decke wird so zu einer höhenverstellbaren Meditationsbank, eine zusammengerollte Decke zu einem prima Meditationskissen umfunktioniert.
    Das ist nicht nur eine kreative Lösung, die Ressourcen spart. Sondern auch absolut praktisch, wenn du häufiger auf Reisen bist. Die Ausrede „Ich habe ja kein Kissen, also kann ich nicht meditieren.“ ist dann nicht mehr möglich. Und was passiert ganz nebenbei? Wir leben die Veränderung, die wir uns so sehr gewünscht haben.

  4. Raum für den Kurs bedeutet Platz für dich in deinem Leben
    Was bedeutet es, wenn wir für einen Kurs unser Zuhause verlassen wollen? Vielleicht suchen wir eine ruhige Umgebung, die es in unserem Alltag nicht gibt. Oder wir erwarten unbewusst, dass jemand anderes uns helfen muss, denn wir schaffen das doch nicht allein.
    Wenn wir in unserem Zuhause üben, übernehmen wir Verantwortung für uns und unser Leben: Wir werden aktiv und schaffen Raum für uns in unserem Leben. Dann ist auch später ein Ortswechsel unnötig, weil es diesen Platz jederzeit zuhause gibt. Er steht uns immer zur Verfügung, wenn wir ihn brauchen. Vielleicht gibt diese Erfahrung auch den Impuls, das, was wir mit dem Begriff Urlaub bezeichnen, neu zu definieren.
    Wenn wir uns für Entspannungsübungen oder Achtsamkeitstrainings in deinem Zuhause begegnen, beginnt die Nachhaltigkeit bereits vor deiner Anmeldung: Wo wirst du dir einen Platz für Entspannung in deinem Leben schaffen? Wo ist Raum für dich in deinem Leben? Rollst du deine Matte immer wieder auf? Lässt du sie liegen, weil sie dich sowieso jeden Tag begleitet? Wo ist dein Meditationsplatz? Darf er jeden Tag sichtbar sein? Oder muss er einer anderen Gewohnheit weichen?
    Indem du dir schon während des Kurses einen Platz für dich und deine Praxis schaffst, unterstützt du die Nachhaltigkeit des Trainings.
    Manchmal kommt mit diesen Überlegungen auch eine bittere Erkenntnis: Es gibt keinen Platz für mich in meinem Leben. Dann wird es Zeit, diesen Raum gemeinsam zu schaffen. Ein Kurs in deinem Zuhause kann dafür ein erster Schritt sein. Ich begleite dich dabei, eine neue, gute Gewohnheit zu entwickeln – für den Menschen, der in deinem Leben am wichtigsten ist.

Nach dreizehn Jahren Training und vier Monaten Onlinekursen glaube ich, dass man im Grunde nichts wirklich in einem Kurs lernen kann. Dabei ist es völlig egal, ob der Kurs online oder offline stattfindet, zuhause oder in einem Kursraum, oder ob er drei oder zwölf Wochen dauert. Egal wie der Kurs heißt, es braucht immer eine Entscheidung, das, was du in dem Kurs lernen möchtest, im Alltag zu leben. Nur so kann wirkliche Veränderung stattfinden.
Und wenn du diese Entscheidung getroffen hast, dann kann ein Kurs eine wunderbare Gelegenheit sein, um Neues zu lernen und um Menschen zu treffen, die auch auf dem Weg sind, ein Leben zu gestalten, das zu ihnen passt. 

Berlin, 22.07.2020